Die Kunst ist ein lebendiger Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart, und in diesem Kontext ist die Werküberarbeitung von Günter Konrad zu Albin Egger-Lienz' 1898 geschaffenem Gemälde "Hulda - die Salige" ein faszinierendes Beispiel für die Auseinandersetzung mit Tradition und Moderne. In der ursprünglichen Darstellung von Egger-Lienz wird die Figur der Hulda, die Königin der Saligen, als eine schützende und heilende Präsenz für die Menschen in den Alpenländern dargestellt. Sie erscheint einem schlafenden Hirtenjungen im Traum und überreicht ihm eine Krone, während die malerische Umgebung von blühenden Alpenrosen und rotglühenden Berggipfeln geprägt ist. Diese Szenerie ist nicht nur ein Ausdruck des Naturalismus, sondern auch ein Hinweis auf die tief verwurzelten Mythen und Sagen der Region.
Günter Konrad nimmt sich dieser Thematik an und interpretiert das Werk auf eine Weise, die sowohl die ursprüngliche Bedeutung als auch die zeitgenössischen Strömungen der Kunst reflektiert. In seiner Überarbeitung kontrastiert er die romantische und symbolische Bildsprache Egger-Lienz' mit abstrakten, geometrischen Formen, die an die Werke von Wassily Kandinsky erinnern. Diese geometrischen Elemente und freien Linien schaffen eine neue Dimension, die den Betrachter dazu einlädt, über die Grenzen der traditionellen Malerei hinauszudenken.
Ein zentrales Element von Konrads Überarbeitung ist die Verwendung von Tags und Spraypainting, die an die Ästhetik der Streetart erinnern. Diese Techniken bringen eine urbane, zeitgenössische Note in das Werk und schaffen einen Dialog zwischen der Hochkunst des 19. Jahrhunderts und der modernen Kunstszene. Indem Konrad die Krone, die Hulda dem Hirtenjungen überreicht, als Anspielung auf Jean-Michel Basquiat interpretiert, verleiht er dem Bild eine zusätzliche Schicht der Bedeutung. Basquiat, bekannt für seine kritischen Auseinandersetzungen mit Macht und Identität, wird hier zum Symbol für die künstlerische Freiheit und die Rebellion gegen konventionelle Normen.
Die Ambivalenz zwischen Naturalismus und stilisierter Form, die bereits in Egger-Lienz' Werk erkennbar ist, wird durch Konrads Ansatz weiter verstärkt. Während Egger-Lienz die Schönheit der Natur und die Mystik der Alpen in den Vordergrund stellt, lenkt Konrad den Fokus auf die Phantasie und die Imagination. Er betrachtet das Werk auf einer Meta-Ebene und integriert sowohl die ursprüngliche Intention des Malers als auch die zeitgenössischen Strömungen, die die Kunstwelt prägen.
Insgesamt zeigt Konrads Überarbeitung von "Hulda - die Salige", wie Kunst als ein dynamischer Prozess verstanden werden kann, der sich ständig weiterentwickelt. Durch die Verbindung von Tradition und Moderne schafft er ein Werk, das nicht nur die Geschichte der Kunst reflektiert, sondern auch die Möglichkeiten der kreativen Ausdrucksformen in der heutigen Zeit erkundet. Die Überarbeitung wird somit zu einem spannenden Experiment, das die Grenzen der Kunst neu definiert und den Dialog zwischen verschiedenen Epochen und Stilen fördert.
(Kirk van Loven) - Salzburg 2025